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Großmutters coole Nähstube

Liebe Leserinnen, liebe Leser

Wer Bekleidung haben möchte, die wie auf den Leib geschneidert sitzt, muss sich heutzutage schon ganz gezielt umschauen, wo man solch eine Leistung überhaupt noch angeboten bekommt, denn Nähstuben sind besonders rar geworden.

Ich erinnere mich noch, dass es in den 1960er und 1970er Jahren in Köln im Hertie und im Kaufhof zum Beispiel eine spezielle Abteilung für Herrenkonfektion gab. Direkt daran angeschlossen war eine Änderungsschneiderei oder eine kleine Nähstube, wo man notwendige Änderungen in Auftrag geben konnte.

Persönlich hatten meine Familie und auch ich ja wirklich riesengroßes Glück, denn meine Großmutter war gelernte Schneiderin. In der Wohnstube links in der Ecke, da stand das gute Stück in all seiner Pracht, eine

Singer Nähmaschine, Gusseisen
Singer Nähmaschine, Gusseisen

Singer Nähmaschine auf einem Gestell aus Gusseisen.

Unter dem sogenannten Anschiebetisch befand sich eine kleine Schublade und der Tisch ließ sich ausklappen.
Durch kleine Rollen an den Füßen konnte man sie problemlos bewegen.
Und durch die schön verzierte hölzerne Abdeckhaube war sie nicht nur dekorativ, sondern ein echter
Hingucker!

Aus diesem Grund möchte ich Euch heute in einer sehr interessanten

Nähstube herzlich willkommen heißen.

Nähstube

 

In einer arg verbeulten Dose,
ganz hinten im Regal versteckt,
ruhen zahllose Knöpfe, alt und lose,
schon längst vergessen ist ihr Zweck.

Dabei bestimmten diese Teilchen,
in ihren besten Tagen stets,
ein bindend Stückchen unseres Weilchen,
auf diesem unseren Planet.

Ohne die goldenen, welch große Schande,
ein General wär‘ unsichtbar.
Die schmucken Uniformen im Lande,
wär’n völlig nackt und unscheinbar.

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Sie könnten niemandem mehr zeigen,
hier paradiert ein Spezialist.
Denn Zwirn, ganz knopflos, kann nur heißen,
dass drin ein wahrer Niemand ist.

Doch gibt’s auch kleine, die in Herzform,
geschmückt haben manch zarte Brust.
Die, als des Lebens kalter Herbst kam,
verbissen wurden abgezupft.

Ersetzt durch einen Reißverschluss.
Da ist der Name schon Programm.
Erst wird gerissen, dann kommt Schluss,
am End‘ zieht niemand mehr daran!

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Gebannt lauscht man den Wäscheknöpfen.
Wenn die erst ins Erzählen kommen!
Von roten, aufgelösten Zöpfen,
wie Seidenwellen, ganz verschwommen.

Von Seufzern und von wildem Stöhnen:
„Ach Kinder, ich könnt‘ Sachen sagen!
Stattdessen wir hier Trübsal frönen,
nur träumen können von alten Tagen.“

Gar wichtig sind die Mantelknöpfe,
sie glauben, sie sind alter Adel.
„Ein großes Horn – macht große Knöpfe!“
Man nickt, zustimmend, ohne Tadel.

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Dabei die Lässigsten der Träger,
die niemals auch nur einmal schlossen,
die froren lieber, wie der Jäger,
der statt dem Bock, den Hund erschossen.

Ach, Formen gibt es schier unzählig:
Aus Horn, aus Glas und Perlenschimmer,
sogar aus Blech, nur scheinbar schäbig,
doch zählt ihr Gestern jetzo nimmer.

Vergessen ruhn sie in der Schachtel,
nur manchmal kommt die runzlig‘ Hand,
der netten alten, grauen Wachtel
und streicht ganz zärtlich jeden Rand.

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Sie murmelt dabei leise Worte,
sucht sich den Kleinsten immer aus,
den blauen Hemdknopf mit der Borte,
fischt sie als einzigen immer raus.

Führt ihn ganz sacht an ihre Augen,
drin glitzern Tränen, eine tropft,
haucht einen Kuss drauf – kaum zu glauben,
dann wird er sanft zurück gestopft.

„Du warst mein Einzig!“ sagt sie heiser,
die Knöpfe hoffen stets auf mehr.
Doch nur ein Blick noch, schnieft und leiser:
„Je nun, vorbei!“ kommt hinterher.

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Energisch schließt sie dann den Deckel,
die Knopfmannschaft umfängt die Nacht.
Den Rest des Lebens im Verlies –
ja, so weit haben sie’s gebracht.

©Isabella Kramer

Dieses wundervolle Gedicht über eine ganz besondere Nähstube haben wir einer Dame mit dem – finde ich – klangvollen Namen: Isabella Kramer zu verdanken, der ich an dieser Stelle meinen vollsten Respekt für ihr Werk zollen möchte.

Meine Großeltern & ich

 

Ganz ähnlich empfand ich es bei meiner Großmutter, wenn sie an ihrer Maschine saß. Was sie da im wahrsten Sinne des Wortes für die Familie, Freunde, Bekannte und viele langjährige treue Kunden zauberte, faszinierte mich immer wieder.

Egal, was auch immer sich die Menschen wünschten und welches Material zum Einsatz kommen sollte, sie ging immer mit einem fröhlichen Lächeln ans Werk.

 

Ich würde mir wünschen, dass es in dieser unfassbar schlimmen Zeit eine(n) Schneider(in) gibt, die das riesige Loch, was ein Barbar, Despot und gnadenloser Diktator in unser friedliches Europa gerissen hat, stopfen könnte. 

Ich wünsche uns allen von Herzen gerne eine harmonische Zukunft in Frieden!

Bleibt oder werdet gesund, Ihr Lieben und bleibt von schweren Krankheiten verschont!

Toi, toi, toi und bis dann

Euer „alter“ Mann

Werner Michael Heus

 

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