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Welttag des Stotterns 2022

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

auch am 22. Oktober 2022 ist wieder:

Welttag des Stotterns

(International Stuttering Awareness Day)

Vorsichtigen Schätzungen zufolge soll es in Deutschland mittlerweile mehr als 830.000 Menschen geben, die stottern. Menschen, die mit irgendwelchen Silben im wahrsten Sinne des Wortes kämpfen, aber das Wort will einfach nicht über die Lippen kommen.

Leider ziehen sich ganz viele davon komplett zurück und schweigen lieber. Sie fürchten die Ablehnung ihrer Mitmenschen. Meist haben sie bedauerlicherweise auch entsprechend einschlägige, meist negative Erfahrungen gemacht, was ich persönlich traurig finde! 

Die Wissenschaft hat zwar mittlerweile einiges über das Phänomen des Stotterns herausgefunden, aber bei Weitem noch nicht alles.

Geklärt ist, dass das Stottern über alle Kulturen hinweg ähnlich oft und familiär gehäuft auftritt. Es gibt also eine starke genetische Komponente.

Etwa fünf Prozent der Kinder entwickeln ein Stottern zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr, bei den meisten geht es jedoch bis zur Pubertät von alleine wieder weg.

Schenkt man dem Volksmund Glauben,

dann meint fast jeder Mensch über das Stottern ganz genau Bescheid zu wissen. Einige sind der festen Meinung, dass wir doch alle mal stottern und dann muss man eben nur ganz ruhig atmen, dann wird alles wieder gut.

In den meisten Medien wird Singen als beste Lösung propagiert, alles ganz easy!

Das Phänomen, dass jemand beim Singen nicht stottert, liegt darin, dass Singen von anderen Prozessen im Gehirn ausgelöst wird, als das Sprechen, das ja bei Stotternden beeinträchtigt ist.

Jedoch in der Realität können vom Stottern betroffen leider ziemlich sicher ein Lied darüber singen, welche Fehleinschätzungen und fast schon schaurige Märchen über die Redeflussstörung tatsächlich im Umlauf sind.

Fakt ist jedenfalls:

Stottern ist nicht gleich Stottern!

Um darüber gezielt aufzuklären, findet seit 1998 jährlich am 22. Oktober der

„Welttag des Stotterns“

statt, der auch in unserem Land dazu genutzt wird, um mit Aktionen und Veranstaltungen auf die Schwierigkeiten, die jeder einzelne Stotternde bewältigen muss, aufmerksam zu machen! Und die Mitmenschen zu sensibilisieren.

Sowie Aufmerksamkeit für die Fakten rund um die Sprechbehinderung Stottern, zu welcher es noch immer noch viele Vorurteile gibt, offenzulegen.

Stottern ist eine neurologische Störung des Sprechens!

Der Welttag des Stotterns 2022 will dazu beitragen, dass sich weniger Menschen verstecken müssen. Stottern ist einfach ausgedrückt eine Störung des Sprechablaufs.

Betroffene Menschen wissen, was sie sagen möchten, können es aber nicht aussprechen oder brauchen länger dafür. Dabei werden Silben oder Laute wiederholt. 

Um Sprechen zu können, muss unser Gehirn eine Vielzahl von Impulsen empfangen und weiterverarbeiten. Bei stotternden Menschen sind einige dieser Abläufe beeinträchtigt.

Um es ein wenig plastischer zu machen:

Das Areal im Gehirn, welches für die Steuerung der Sprechmuskeln zuständig ist, wird von den anderen Arealen, die an diesem Prozess beteiligt sind, nicht störungsfrei angesteuert.

Die Vorbereitung auf das Sprechen wird entscheidend gestört, dass es zum Stottern kommt!

Aus diesem Grund lässt Stottern keinerlei Rückschlüsse auf die psychische Verfassung, die Intelligenz, den Charakter oder die Herkunft der betroffenen Person zu.

Stottern kann psychische Belastungen wie Ängste oder ein Verlust des Selbstwertgefühls bei den Betroffenen hervorrufen! Dazu kommen körperliche Begleitsymptome, wie Muskelverspannungen oder Änderungen beim Atmen.

Da es sich beim Stottern um eine dauerhafte Beeinträchtigung handelt, ist es als Behinderung anerkannt!

Auch ohne einen „Behindertenausweis“ haben stotternde Schulkinder Anspruch auf einen sogenannten Nachteilsausgleich.

Das fangen jedoch dann schon die Probleme an, denn leider ist das vielen Lehrkräften und auch den Eltern nicht immer bewusst und was noch viel schlimmer ist, stotternde Schüler scheuen sich nachvollziehbarerweise vor dem Begriff

Behinderung.

Das ist insofern mehr als schade, denn der Nachteilsausgleich sichert den betroffenen Schülern Chancengleichheit in Schule und Ausbildung!

Nachteilsausgleich

Der heutige Aktionstag bietet Gelegenheit, gehört und gesehen zu werden, ganz selbstbewusst und offensiv, mit Stottern oder ohne, aber immer für ein positives Miteinander!

Eine Reise der WorteDas internationale Motto lautet in diesem Jahr: 

Journey of Words – Resilience and Bouncing Back

zu Deutsch:

„Eine Reise der WorteBelastbarkeit und zurückprallen“

dabei geht es für die Betroffenen darum, Wege zu finden, widerstandsfähiger zu werden und zu lernen, Vorurteile der anderen Menschen, um sich herum möglichst an sich abprallen zu lassen. Toi, toi. toi.

  Der Aktionstag gibt wieder Anlass für vielfältige Aktionen im großen und kleinen Stil, veranstaltet von Gruppen und auch stark engagierten Einzelpersonen.

Dank einer Förderung der Techniker Krankenkasse und dem hohen Engagement der ehrenamtlichen Landesverbände Stottern & Selbsthilfe wurde am 22. Oktober 2017 an allen deutschen Bahnhöfen mit sogenannten „Station Video“-Monitoren ein Spot zum Welttag ausgestrahlt werden. Der Spot griff gängige Vorurteile über stotternde Menschen positiv auf und sendete die selbstbewusste Botschaft:

Ich sag’s auf meine Weise! 

Einer der möglichen Lösungsansätze sind Therapie-Methoden, bei denen die Betroffenen zunächst zu Hause in der Sicherheit der gewohnten Umgebung das Sprechen üben können. 

Der überwiegende Teil der Therapien findet immer noch ambulant statt. Zusätzlich gibt es auch intensiv-stationäre Angebote.

Die wichtige Hürde ist, Ängste vor dem Stottern zu überwinden. Und das braucht Mut. Der Betroffene muss lernen, sein Stottern zu akzeptieren, denn bei Erwachsenen verschwindet es in aller Regel nicht vollständig.

„Auch diese Wahrheit muss man akzeptieren.“

Alexander Wolff von Gudenberg, seines Zeichens Institutsleiter der Kasseler Stotter Therapie gehört jedoch zu den Vorreitern der Online-Medizin, wo sich Therapeut und Patient in virtuellen Räumen, verbunden über das Internet, treffen. „Die Online-Methode kann zum Beispiel für Patienten attraktiv sein, die sich für ihr Stottern schämen.

Die Eingangshürde ist in diesem Fall niedriger“, denn Scham spielt eine große Rolle beim

Stottern.

Ich wünsche allen Betroffenen von Herzen gerne genügend Mut sich zu outen und sich einer Therapie zu stellen. An alle anderen Menschen möchte ich für mehr Toleranz appellieren.

Darüber hinaus drücke ich uns allen ebenso von Herzen gerne die Daumen weiterhin vom Coronavirus verschont zu bleiben bzw. komplett wiederzugenesen. Der „Goldene“ Oktober zeigt sich aktuell von seiner schönsten Seite und das möge lange so bleiben.

Euer „alter“ Mann

Werner Michael Heus

Das Video ist aus dem Jahr 2020!

 

2 Kommentare

  • Hannelore

    Guten Abend lieber Werner,
    das Thema ist wieder sehr interessant und du hast es wieder gut erklärt.
    Als Kind habe ich auch gestottert vom Kindergarten bis zur Schulzeit.
    Ich bin aber so groß geworden. Meine Mutter hat auch gestottert und ich
    dachte, dass es so normal und richtig ist. Bei meiner Mutter kam es durch
    den 2. Weltkrieg. Sie war nervlich fertig.
    Früher haben die Erzieher und Lehrer darauf geachtet und mir sehr geholfen
    beim Sprechen. Ich wurde natürlich auch gehänselt, aber da habe ich immer
    Hilfe durch die Erzieher und Lehrer bekommen. Ich wurde von der Musiklehrerin
    in den Schulchor aufgenommen und siehe da, es hat mir geholfen. Die anderen
    Lehrer haben darauf geachtet, dass ich möglichst langsam spreche.
    Meine Mitschüler haben gestaunt. Es hat aber Jahre gedauert bis es endlich weg war.
    Schönen Abend wünsche ich Dir und schönes Wochenende.

    • Werner Heus

      Herzlichen Dank für diese umfassende Schilderung, liebe Hannelore.
      So kann ein klassischer Verlauf aussehen und es hat ein gutes Ende genommen. SUPER!
      Das Problem hat ich auch mit einem meiner Kinder. Mit Hilfe eines Logopäden, viel Geduld,
      Verständnis und Rückendeckung durch uns als Eltern, sowie der Lehrer war die Zeit recht gut
      zu überstehen.

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